Weniger ist mehr!? [72]

Portrait Fotoshooting Koblenz

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Weniger – dafür tiefer. In nahezu allen Lebenslagen. Die Anzahl der Bilder bei einem Fotoshooting, die Menge der Motive auf einer Aufnahme, die Farben eines Bildes, die Botschaften eines Textes.

Die großen Designer wussten es bereits, die berühmten Künstler und die Kreativen gleichermaßen: Ein Schlüssel für die Faszination von der Kunst liegt ganz oft im Prozess des Weglassens! Einfachheit, Verzicht auf Dekoration und Kitsch, Auslassen von Brimborium und Tamtam, weglassen noch eines Zierstreifens, noch einer Farbe, noch einer Ausbuchtung oder noch einer Formung finden intuitive Zustimmung beim Betrachter, beim Nutzer, beim Liebhaber.

Ich bin weder Stoiker, noch Nihilist, (noch) kein Zen – Mönch und kein Minimalist. Stoiker? Was hat dieser in der obigen Aufzählung zu bedeuten? Nun, ich möchte mich nicht der Lehre der Stoa anschließen, denke nicht, dass alles vorherbestimmt ist und dass nichts notwendig ist, um zu wachsen, zu verändern, zu werden, weil sowieso alles feststeht. Miteinander verbunden ist alles vielleicht, aber nicht streng kausal. Ich möchte, ganz im Gegenteil, Besonderes suchen, hervorheben, darstellen, erschaffen mit der Botschaft, die Aristoteles schon aufgriff, nämlich dass Kunst auch über die Realität hinaus gehen darf, um diese Botschaft zu transportieren. Bleibe ich also nicht Apathiker und Stoiker. ABER: Ein wenig von „Es ist, wie es ist“ lasse ich durchaus gerne zu.

Wenn weniger mehr ist, damit in der Einfachheit der Weg zur Erkenntnis und zur Kunst liegt, Ludwig Mies von der Rohe hat dies auf die Architektur angewandt, so möchte ich nach einem Weg fragen, dies in ein Bild zu übertragen, eine Arbeitsweise in der Fotografie finden, die sich zu dieser Devise bekennt. Was ist weniger in der Fotografie (von Menschen)? In einem meiner letzten Artikel riss ich diese Fragestellung bereits kurz an. Was ist notwendig für die Erstellung einer künstlerischen Fotografie? Ein großes Aufgebot an Equipment und eine Mannschaft zur Bewältigung aller Aufgaben und der Postproduktion oder nur ein Mensch vor und hinter der Kamera?

Was ist schlussendlich auf einem Bild erforderlich, was soll zu erkennen sein, damit es dich begeistern kann, dich berührt? Ungewöhnliches, Seltenes oder sonst Verborgenes kann einen Reiz haben, erweitert vielleicht durch nicht alltägliche Perspektive oder Blickwinkel, wenn es nicht schon durch die Rarität allein wirkt. Normales kann durch eine außergewöhnliche Art der Darstellung ins Licht gerückt werden. Was ist es, das bei einem Menschen fasziniert? Ist es bei jedem Menschen etwas anderes? Fraglich, wenn ich von einem Portrait ausgehe, das sich durch nichts als den Körper und das Gesicht definiert, das in bestimmter Weise angeleuchtet wird.

Es geht mir persönlich nicht darum, dass es der lauten Masse gefällt. Viel mehr wünsche ich mir, dass es einen ganz bestimmten Menschen anspricht: Jemand, der diese Ausdrucksweise in sich widerspiegelt, jemand, der in sich diesen Klang der Extrovertiertheit vernimmt. Jemand, der über die Plakativität dieses Exhibitionismus‘ des Bildes hinaus spüren kann, was an sensiblen Nuancen lebendig ist.

Ob es derer viele gibt, ist eine andere Frage, die Klicks im Hauptmedium der Verbreitung, dem www, deuten an, dass dem nicht so ist. Die alte, historische Frage nach der Zielgruppe bleibt über die Jahrhunderte die gleiche: Produziere ich etwas (außer für mich selbst und meinen Ausdruck der Kunst) für die breite Masse oder den einzelnen Ästheten und offenen Feingeist?

Zurück zur obigen Fragestellung: Ist es das Ebenmaß, was den Betrachter entrückt? Soll dieses Ebenmaß irgendwo im Bild erkennbar sein, erkennbar in der Form des Körpers oder den Proportionen des Gesichtes, dessen Anwesenheit eine perfekte Symmetrie beschreibt, die uns in unserer Wahrnehmung so unheimlich und unbemerkt und doch treffsicher berührt und fesselt? Wie viel eines Menschen reicht aus, um uns zu faszinieren? Sollte es die Geste einer Hand sein? Ist es ein Bodypart, ein Ausschnitt eines Körpers oder ein Teil dessen, das ausreicht, um uns in seinen Bann zu ziehen? Vielleicht sind es die in Verbindung damit vorhandenen „Unzulänglichkeiten“, die den Charakter eines Menschen erst bilden, ohne diese das Abbild Gefahr läuft einer Leere anheimzufallen?

Mitunter erscheint es, wenn beispielsweise die eine Gesichtshälfte – verdeckt von den Haaren – versteckt ist, die andere Hälfte des Gesichtes uns in eindringlicher Weise frei anzublicken vermag und vom Gesamtbild des Menschen nur Ahnungen zulassen? Sind diese Ahnungen nicht sowieso viel spannender, weil sie stets idealisiert daher kommen? In den Augen des Menschen spiegelt sich der Zustand und die Weite seiner Seele wider, so sagt man. So könnte es der Ausdruck in den Augen sein, der uns am stärksten tangiert, wenn sie nicht geschlossen sind, und die Geste die Aussage der Person erzählt. Vielleicht trifft die Darstellung unsere Wellenlänge, die gerade jetzt, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, in uns fließt. Sehen wir (Teile von) Formen eines Menschen, so verbinden wir diese mit unserer Vorstellung von Idealen, von dem, was wir für harmonisch halten und nachdem wir unentwegt streben, einer Entwicklung folgen, die uns nicht immer ganz gegenwärtig und bewusst ist.

Wenn Bilder dich ansprechen, dich berühren, dich einen Augenblick lang in ihren Bann ziehen, was denkst du ist es, das es auszulösen vermag? Ein Gemälde bedient sich in der gleichen Weise an der Darstellungsform, wie eine Fotografie und andersherum. Einfachheit begleitet uns bei der Betrachtung. Sie hilft uns dabei zu sublimieren, unbewusst, ganz selten bewusst, denn festzustellen, was schön ist, fällt uns leicht – zu sagen, warum es so ist, schon nicht mehr so ganz. Viele Elemente bedürfen geteilter Aufmerksamkeit in begrenzter Zeit und fordern jeden Menschen heraus. Jeder leistet Unterschiedliches. Jeder selektiert unterschiedlich. Welchen Teil einer Fotografie nimmst Du wahr?

„Jeder Mensch hat einen bestimmten Kreis, in welchem er auf eine unnachahmliche Weise wirken kann, – je kleiner sein Reich, desto konzentrierter seine Kraft.“, sagte einst Johann Wolfgang von Goethe oder Johann Caspar Lavater. Im weitesten Sinne angewandt auf die Kunst der Darstellung führt Hieronymus Bosch in seinen berühmtesten Werken den Gegenbeweis. Es kann auch anders sein. Augen wandern über das Kunstwerk und entdecken immer wieder neue Perspektiven und Details, die den Betrachter fesseln, begleiten, leiten, durch die Botschaft und Geschichte des Kunstwerkes. Geschichten oder Wahrheiten, Botschaften oder Weisheiten sind oft nicht durch ein Wort zu vermitteln. Sie bedürfen der Erläuterung, der Beschreibung, der bildhaften Darstellung. Kontext verändert mitunter, führt ad absurdum, belegt oder begleitet, er führt ein und schließt ab, der Umgang damit kann ein spannendes Spiel der Künste sein, wenn er mit Bedacht geführt wird. Ausgedehnte Reisen der Gedanken und Gefühle bei der Betrachtung eines Werkes sind die Folge dieser Konstruktionen und kreative Künstler vermögen diese zu erschaffen.

Worum geht es bei meiner Überlegung? Erfasse ich ein simples Kunstwerk, fotografiere das Bild eines Menschen, oder ein Teil dieses Menschen intuitiv, kann es dabei durch eine Einfachheit, die ich zugrunde legen möchte, anders erfasst werden, als jene Bilder im klaren Kontext einer Geschichte, die durch diverse Zutaten wie Hinter- und Vordergrund, Accessoires oder Kleidung konstruiert wird? Ist es nicht auf einer Fotografie jene vielbeschriebene Einfachheit der idealen Form des Körpers oder die klare Botschaft desjenigen Ausdrucks im Gesicht des Menschen, der uns am meisten fesselt, anspricht, begleitet, zu uns selbst, immer und beständig, weil es auf diese eine Zutat in der Komposition ankommt? Ist es deshalb von solch exorbitanter Bedeutung, weil wir uns (oder einen Teil von uns) darin wiederfinden? Weil wir mitklingen in den Tönen, die uns gerade jetzt beschwingen? Kannst Du es für Dich herausfinden, wenn Du es misst?

6 Gedanken zu “Weniger ist mehr!? [72]

  1. Was ist für gutes ein Bild nötig? Eine gewisse technische Verständigkeit (die man am besten einen Profi machen lässt)und ansonsten der Blick, würde ich sagen. Der Blick, der entscheidet, was wann und wie fotografiert wird. Und die Fähigkeit, die Idee dieses Blicks in das Fotoformat zu bringen.

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    • Das mit dem Profi sehe ich nur bedingt so, dem Blick möchte ich, wie Du, auch eine wesentliche Bedeutung zusprechen. Der sagt für uns Menschen mehr aus, als alle Gestik und Mimik, sind doch so viele Gefühle in seinem Ausdruck zu finden (oder deren fehlen natürlich). (Als Motiv) Als Fotografierender ist es die Fähigkeit zu sehen, wie Du schreibst, denn daran sieht man ganz gut, was (wie) gesehen und (im besten Fall) übersehen wurde. Danke für Deine Ansicht 😊🙋

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  2. Ja, ich glaube, es ist genau das. Wenn man einen Teil von sich selbst in einem Bild wiederfindet, spricht es einen besonders an. Das kann eine Stimmung sein, die man erlebt hat, aber auch eine bestimmte Landschaft oder ein Gegenstand, eine Geste, eine Blume … und ich glaube, dass so halbvergessene Kindheitseindrücke dabei eine große Rolle spielen.

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