Nervige Schönheit (165)

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Zwei Faktoren bestimmen die Verhaltensweisen des Menschen: Erstens Prägung und zweitens angeborene, vererbte Strukturen. Dies nicht nur in Bezug auf die Wahrnehmung und die Reaktion auf Schönheit. Soweit die Ergebnisse der Forschung bisher. Nun geht es bei genauerer Betrachtung darum, den Anteil der Prägung und somit die Folgen des Einflusses von Erziehung, Anleitung, Fürsorge und Empathie genauer zu bestimmen.

In der neurobiologischen Wissenschaft konnten bis in die 1990er Jahre durch Versuche und Forschung keine gesicherten, übereinstimmenden Ergebnisse heraus gearbeitet werden, die das Maß, den Einflussbereich von Erziehung, Bildung und sozialem Umfeld auf die Entwicklung des Individuums bestimmen konnten. [1] Oftmals wurden die vererbten Gene für prägender, mit stärkerem Einfluss versehen, gehalten. Andere Forscher kamen zum Ergebnis, das es das soziale Umfeld, in dem der Mensch aufwächst, sein Schicksal unabänderlich vorausbestimmten sollte. Erst seit dem letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts verdichten sich die Anzeichen für eine deutliche Tendenz. Untermauert von unterschiedlichsten Studien in verschiedensten Ländern beweist sich der Einfluss der Gene sich als viel geringer, die Persönlichkeit, das Wesen des Menschen zu gestalten, als die sozialen Vernetzungen.

Damit geht folglich einher, dass die Reaktionen auf unsere soziokulturelle Umwelt mehr erlernt scheinen als angeboren. Interessant an dieser Stelle wäre die wissenschaftliche Beantwortung der Frage, wieviel angeboren verursachtes Reaktionspotential in Ausübung der erlernten Verhaltensregeln des Menschen steckt.

In der Literatur finden sich einige Dokumentationen aus Forschung und Feldstudien, die zwar nicht direkt dieser Frage nachgegangen sind, die jedoch ganz ähnliche Bereiche der menschlichen Verhaltensweisen in Frage stellten.

Stelle ich hier die Frage, in wie weit mein Umgang mit den optischen Reizen der eigenen Spezies anerzogen ist, oder wieviel archaisches Instinktverhalten unbewusst in mein ach so intellektuelles Gehabe einfließt oder gar eine grundsätzliche Tendenz aufzwingt, so habe ich bereits in früheren Artikeln mit entsprechenden Forschungsergebnissen darauf antworten können. Treten Schlüsselreize auf, so reagiere ich in Millisekunden instinktiv, noch bevor mein Intellekt auch nur die Spur einer Chance hätte, mit dem Ausstoß von Neurotransmittern, die in Form von Enzymen wie beispielsweise Dopamin, aber auch Noradrenalin, β-Endorphin und Serotonin das Nervensystem anleiten. Diese Stoffe sind maßgeblich an unserem (Wohl-) befinden beteiligt, welches unser vermeintlich bewusst gesteuertes Verhalten unbewusst bestimmt.

Wird ein Cocktail aus diesen Substanzen in unserem Nervensystem erzeugt, durch welchen Schlüsselreiz auch immer, steigt unser Wohlbefinden in merklichem Ausmaß und damit ist die Tendenz unsres Verhaltens schon vorbestimmt. Mentale Autonomie, intellektuelle Selbstbestimmung scheint diesen Ergebnissen zufolge eine komplette Sinnestäuschung zu sein.

Und doch ist es so, dass wir nicht durch die Ausschüttung von Dopamin in Euphorie verfallen und alles stehen und liegen lassen. Wir sehen etwas Schönes und sind hin und weg? Nein, da ist schließlich noch das Serotonin. Dieser Stoff wirkt als Dämpfer. Es ist also nicht unser bewusster Verstand, der allzu erwachsen reagiert. Es ist der Botenstoff, der uns zu Gelassenheit, Ausgeglichenheit, inneren Ruhe und Zufriedenheit bringt. Er sorgt dafür, dass Besonnenheit als Grundlage für unser Denken geschaffen wird.

Zurück zur eigentlichen Fragestellung. Heißt die Antwort auf die Frage, wie wir mit der Schönheit umgehen, je nach Möglichkeit unseres Körpers den ein oder anderen Neurotransmitter ausschütten zu können bestimmte die Reaktion? Was würde der Lerneffekt des Lebens dazu beisteuern, wenn es so wäre? Nun, dass liegt sozusagen eine Ebene höher. Im Laufe des Lebens bilden sich die individuellen Nervengeflechte eines jeden einzelnen Menschen. Nahezu abgeschlossen ist diese Entwicklung im Alter von 16 bis 20 Jahren. [ebnd] Die Nervenautobahnen sind etabliert, nur Nebenstraßen werden noch gebildet. Und das immer langsamer. Und genau bei dieser Entwicklung zeigt sich der Einfluss der Gene und der Einfluss der Bildung: Multiple Sinnesreizungen, höchst abwechslungsreiche Inputs im Laufe der Menschwerdung bilden mannigfaltige Vernetzungen in den verschiedensten Bereichen des Gehirns aus, (musisch, kognitiv, haptisch) die dafür sorgen, dass der Mensch in vielfältiger, unterschiedlich reflektierender Art und Weise auf seine Umwelt reagierten kann und darüber hinaus diese mit formen kann!

Fazit: Mit dem Einfluss auf die Entwicklung eines Individuums bestimmen wir dessen Möglichkeiten im Umgang mit all den Einflüssen, die im Laufe seines Lebens auf ihn warten.

.[1]: Prof. Manfred Spitzer, Medizin für die Bildung, Spektrum-Verlag, Heidelberg 2010

3 Gedanken zu “Nervige Schönheit (165)

  1. Dem Fazit stimme ich zu. Und denke, die Instinktprägung über Millionen von Jahren ist stärker als jede erzieherische Momentprägung eines einzelnen Menschen. Der instinktiven (Hin)Blick auf einen (subjektiv) schön empfundenen Po möchte ich dem Millionenjahrinstinkt zuschreiben. Den Umgang damit eher den aktuelleren Prägungen der Neuzeit.

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    • Hallo inerlime,
      danke für den Kommentar! Als erstes fiel mir Dein WordPress-Name auf, und mein Gehirn, auf seinen festgefahrenen Autobahnen, machte sogleich Inner Lime daraus und dachte sich „innere Grenze“, was mir natürlich gefiel. Beim nächsten hinsehen fiel mir der Irrtum auf: hat er eine Bedeutung?

      So, jetzt zum Kommentar: Was verstehst Du unter „aktuelleren Prägungen der Neuzeit“???
      Und ja, vermutlich funktioniert der Mensch erstaunlich unmittelbar durch den Instinkt, und hat es mitunter schwer, Instinkt und Verstand in Einklang zu bringen. 😉

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      • Hallo miesvandenbergh,
        nun, also ob der Irrtum eine Bedeutung hat, vermag ich nicht zu sagen *grins*. Aber die Idee mit der Grenze find ich gut. Unter aktuellere Prägung der Neuzeit verstehe ich die Vermittlung von Werten, wie es sie in der frühreren Zeit kaum oder gar nicht gab. Am Beispiel ’schönes Hinterteil‘ – in Zeiten des Mittelalters war der Umgang der Herren doch in manchem grober. Wenn heute ein Mann über die Straße geht, hat er (im besten Fall) vorher 20 Jahre lang gelernt, dass man eine Frau nicht überfällt, sie auch nicht ohne Erlaubnis anfasst und ihr auch keine anzüglichen Bemerkungen hinterherruft. Auch wenn sie ihm evtl. (aufgrund der älteren Prägung) in den Sinn kommen. Ja, auch jeden Fall funktioniert der Mensch unmittelbar durch den Instinkt. Der kleine niedliche Stolz, den wir uns zusprechen ob unserer grandios intellektuellen Leistungen ist NICHTS im Vergleich zur Kraft, die aus Millionen Jahren in uns entstanden ist. Bestes Beispiel ist unsere Gesundheit und die Fähigkeit unseres Seins, uns selbst zu heilen. Ich will es hier mal dabei belassen, denn sonst geht die in mir niemals versiegende Begeisterung für diese Kraft mit mir durch… 😉

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