Bilder junger Menschen (123)

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Eine neue Idee oder eine altbekannte Diskussion? In der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 05.12.2013 wurde ein interessanter Artikel mit der Überschrift „Die Bilder des Begehrens“ vom Autor Hanno Rauterberg veröffentlicht, der einen Fund von Polaroid-Bildern des berühmten Malers Balthus (eigentl. Balthasar Klossowski de Rola) zum Anlass nimmt, um die Frage nach der Zulässigkeit von Bildern junger Menschen in der Kunst zu erörtern, Stichwort „Pädophiliedebatte“.

Der Maler hatte angesichts seines hohen Alters auf die Skizzierung besonders eines seiner Modelle, Anna Wahli, verzichtet und stattdessen Polaroid-Fotos angefertigt. Derer wurden es mehr als 2400, was den Autor die Frage aufgreifen lässt, ob es sich angesichts der Menge der Fotos tatsächlich um skizzenhafte Vorarbeiten handelt oder um klassischen Voyeurismus. Abgesehen von dieser Debatte, die in der Kunstszene wieder mal auf die Tagesordnung geraten zu sein scheint, werden Teile dieser Sammlung sowohl durch die Galerie Gagosian für 20.000.- Dollar pro Stück verkauft, als auch ein Teil der Sammlung im Frühjahr 2014 im Essener Folkwang-Museum ausgestellt werden.

Im weiteren Verlauf des Artikels zählt der Autor weitere Künstler auf, die ihrerseits bei näherer Betrachtung in die Reichweite der Debatte um die Pädophilie gelangen könnten. Beispielsweise Lewis Carrol wird genannt, der junge Mädchen mit der Kamera abgelichtet haben soll, wodurch „Alice im Wunderland“ in ein etwas anderes Licht gerückt werden könne. Sittenwächter aller Länder und Coleur haben sich wieder einmal aufgemacht, Kunst zu durchleuchten, um sie anschließend in der Gesellschaft einer Diskussion zu unterziehen, oder sie stellen gleich die Forderung, diese Bilder wegzuschließen.

Im letzten Teil des Artikels wagt der Autor eine vorsichtige Bewertung dieser Debatte, in der er vor der Kriminalisierung jeglicher Kunst mit nach heutigem Verständnis pädophil anrüchiger Kunstwerke warnt. Zugleich stellt er jedoch die Legitimität der Veröffentlichung von derlei Bildmaterial zumindest in Frage. Ein leichtes Hin und Her in seinem Artikel über das Recht und die moralisch-ethische Verantwortung bei der Publikation der Balthus-Polaroids weist auf die Schwierigkeiten bei dieser Bewertung hin, zumal in dieser Wochenzeitung. Zum Schluss des Artikels gibt der Autor dem Leser noch eine Aufgabe mit auf den Weg. Die Frage nach der Veröffentlichung der Polaroids legt er in die Hände, in die Gedanken und Meinung der Betrachter von Kunst. Ob diese Ausstellung im Museum Folkwang ein Erfolg wird, das wird einzig und allein von Besucher abhängen. Ob es einen Wunsch nach Profit durch Voyeurismus beim Verleger des Kataloges zur Ausstellung gibt kann dahin gestellt werden, denn der Besucher oder der Fernbleibende werden es belegen.

Was kann ich als Fazit aus diesem Artikel für das Thema dieses Blogs herausstellen? Der Bezug ist auf der Ebene der Bilder klar erkennbar; meine Fotografien würden, einer breiten Öffentlichkeit dargeboten, sicher zu einer ähnlichen Debatte führen können, wie die um die Fotos von David Hamilton entstand, wenngleich ich mich nicht in die Nähe dieses Künstlers rücken kann und möchte. Wenn ich bei Wikipedia den Begriff des Voyeurs nach schlage, so hat ein Autor u.a. folgenden Abschnitt verfasst:

„Seit der Einführung der Digitalkameras nimmt die Straßen-Voyeur-Fotografie einen wesentlichen Stellenwert ein. Fast ausschließliches Motiv dabei sind Rückansichten (mit Ausnahme des Cameltoe) von jungen Frauen und Mädchen in bevorzugt engen Hosen (Jeans, Leder, Leggins) oder es wird unter den Rock fotografiert. Die Opfer werden in Fußgängerzonen, am Strand, beim Shoppen oder öffentlichen Veranstaltungen ohne ihr Wissen abgelichtet oder gefilmt. Der Voyeur legt dabei meist keinen gesteigerten Wert auf Gesichtsaufnahmen bzw. vermeidet diese absichtlich, um sein moralisches Schuldbewusstsein zu unterdrücken.“

Schon dieser Ausschnitt zeigt deutlich, welche Betrachtungsweise und Meinung in der Debatte um das Motiv „Schönheit“ in der „Kunst“ eingenommen werden kann. Der Autor oder die Autorin dieser Worte schreibt von moralischem Schuldbewusstsein und von Opfern. Diese Art der Straßenfotografie wird damit eindeutig in einen voyeuristischen, vielleicht krankhaften, in jedem Falle aber gesetzlich-moralisch zweifelhaften Kontext gestellt. Dabei werden die Grenzen zwischen „normalem Schauen und genauen Hinsehen“ moralisch bewertet, zumal der Begriff Voyeurismus durch unsere Sittenwächter eindeutig negativ belegt ist. Auch meine Bilder passen teilweise in die oben genannten Beispiele von Rückansichten. Teilweise, weil ich eine Vielzahl der Fotos erfragt habe und ebenso Profilansichten und Frontalfotofrafien anfertige. Die Frage aber, die ich daran anschließen möchte, ist die gleiche, die ich bereits in meinem Artikel „Moralia“ stellte: Ich fotografiere, was ich sehe, was mir gezeigt wird, was ich schön finde, was etwas natürliches ist und auch die Masse der Menschheit gerne betrachtet.

Fast alle Menschen sehen Menschen gerne an, ob im Gesamten oder auch einzelne Körperpartien. Und die Frage? Wie wollen wir in unserer Gesellschaft leben, welche Übereinkünfte und Grundlagen wollen wir treffen und schaffen, die den Umgang mit unserem ureigensten Verlangen bestimmen, dem Wunsch nach Erhaltung der Art, in all seinen Teilbereichen, wozu auch der Wunsch nach der Schönheit der Menschen gehört, und dies nicht nur beim Gegenüber, sondern auch bei sich selbst. Stellen wir es, wie in o.g. Abschnitt als „Straßen-Voyeur-Fotografie“ unnatürlich dar, wo es Täter und Opfer gibt, oder können wir es als Abbildung von schönen Körpern sehen, die gerne betrachtet werden? Und wenn ja, wo ist die Grenze zu ziehen? Gibt es eine Grenze, und wann ist sie überschritten. Haben wir eine gesunde Urteilskraft, wenn es um die Bewertung eines Fotos von einem schönen Mund mit wunderschönen Lippen geht, oder einer Nahaufnahme einer Vagina mit wunderschönen Schamlippen, oder um die Großaufnahme eines erigierten, rasierten Penis? Manche Körperteile sind mit Tabus belegt worden, scheinbar willkürlich, doch im allgemeinen Verständnis verankert. Wo ziehen wir die Grenze? Beim entblößten Busen einer 87-jährigen oder bei einer Polaroidaufnahme eines „Busens“ einer 12-jährigen? Wo überschreiten wir eine fiktive Grenze, wenn wir jemanden fragen oder bezahlen für ein Foto seines Hinterns oder wenn wir es einfach so auf offener Straße ungefragt machen?

Beantworten diese Fragen auch die Betrachter, die auch bekannt sind unter den Bezeichnungen Gaffer-in, Voyeur-in, Spanner-in, Frauennachgucker, Gast im Cafe mit der attraktiven Bedienung, Besucher-in der Show der Chippendales, Besucher-in von Striptease-Bars, Fans der Sendungen wie Dark Angel (Jessica Alba) oder Knightrider (David Hasselhof), Besucher-innen von Konzerten des Justin Biber, Ballettbesucher, und und und ?

Die Besucher einer Ausstellung oder die Besucher von entsprechenden Seiten im Netz, deren Besucherzahlen die eindeutigste Sprache der Welt sprechen: 0=ja, 1=nein. KLICK!

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2 Gedanken zu “Bilder junger Menschen (123)

  1. Super Beitrag, der einmal mehr zeigt, welche Machtstrukturen hinter den oft beliebig gelegten Grenzen zwischen Normalität und Pathologie stecken! Die zu hinterfragen bedarf einer größeren Community – würd ich in marxistisch angehauchter Weise behaupten ;).
    Wie Du von Schönheit als menschlichem Bedürfnis sprichst, mag ich sehr. Dass wir alle unsere eigene Ästhetik im Kopf haben, würden viele unterschreiben. Dass aber diese NUR begrenzt „okay“ ist und bei 13jährigen Teens oder 70+Menschen und ihrer Nacktheit aufhören MUSS, lässt sich gar nicht über der Ladentheke verhandeln, ohne „abgestempelt“ zu werden (bestenfalls als freak, schlimmstenfalls als illegal..).
    Du triffst den Nagel auf denKopf! Kompliment zu den Fotos, in die Negativaufnahmen lässt sich unendlich viel hinein interpretieren!
    KF ❤

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    • Vielen Dank für Deinen sinnigen, durchdachten Kommentar 🙂 Es ist auch im Kreise meiner Gesprächspartner ein ambivalentes Thema mit erheblichen Einflüssen gesellschaftlicher Moral, die eine große Spannbreite aufweist. Danke auch für Dein Kompliment für meine Fotografien, es freut mich sehr! 🙂

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